Augsburg
Die schwäbische Reichsstadt Augsburg war in Renaissance und Barock eines der bedeutendsten Kunstzentren des deutschsprachig-mitteleuropäischen Raumes. Im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte sich Augsburg zur wichtigsten europäischen Produktions- und Exportstätte für zahlreiche Sparten der künstlerischen und kunstgewerblichen Produktion. In Paul von Stettens zweibändiger „Kunst-, Gewerbe- und Handwerksgeschichte der Reichsstadt Augsburg“ von 1779/88 werden nicht weniger als 65 verschiedene Kunstberufe aufgezählt. Einer der Sektoren, auf dem das barocke Augsburg europaweit, ja weltweit führend war, war die Kunst der Gold- und Silberschmiede. Im Jahr 1722 erreichte die Zahl der in Augsburg ansässigen Gold- und Silberschmiedemeister mit 252 einen beeindruckenden Höhepunkt. Das barocke Augsburg fungierte darüber hinaus als „Bilderfabrik“ Europas, als Zentrum der druckgraphischen Großproduktion. Im Jahr 1730 waren hier allein 61 Kupferstecher und 23 Kunstverleger tätig. Die schwäbische Reichsstadt war im 18. Jahrhundert das Zentrum der Hinterglasmalerei schlechthin. Die Augsburger Hinterglasmaler waren, einmalig in Europa, in einer eigenen Zunft organisiert. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts arbeiteten hier zeitweise über 13 Meister gleichzeitig. Augsburger Hinterglasgemälde wurden bis nach Spanien, Portugal und Südamerika vertrieben.
Für die Tiroler Kunst der Renaissance und des Barock stellte Augsburg einen maßgeblichen Bezugspunkt dar. In Augsburg wurden Kunstwerke und kunstgewerbliche Produkte wie Gold- und Silberschmiedearbeiten in Auftrag gegeben. In Augsburg geborene oder ausgebildete Künstler waren zeitweise oder dauerhaft in Tirol tätig. Tiroler Künstler begaben sich zu Ausbildungszwecken in die schwäbische Reichsstadt. Auch für die Passeirer Malerschule war Augsburg von grundlegender Bedeutung: Wohl auf Vermittlung des aus Walten im Passeiertal stammenden kurfürstlich bayerischen Hofkammerrats Peter Lechner trat Nikolaus Auer als erster Schüler des nur zwei Jahre älteren Malers Johann Georg Bergmüller (1688-1762) in dessen 1713 eröffnete Augsburger Werkstatt ein. Auer hat sich nicht nur in stilistischer Hinsicht eng an seinem Augsburger Lehrer orientiert. Zeit seines Lebens zehrte er darüber hinaus von dem Vorrat an Kopien nach Werken Bergmüllers, den er in Augsburg angelegt hatte. Im Jahr 1719 schuf der Augsburger Kupferstecher Johann Melchior Gutwein auf der Grundlage einer Zeichnung Auers ein Sterbebild mit dem Hl. Benedikt. Auer hat den Entwurf möglicherweise erst nach seiner Niederlassung in St. Martin in Passeier angefertigt und von dort mit der Post nach Augsburg geschickt.
Wohl auf Empfehlung ihres ersten Lehrers begaben sich auch Nikolaus Auers begabteste Schüler, Johann Evangelist Holzer und Joseph Haller, zur weiteren Ausbildung nach Augsburg. Wie zuvor Auer trat auch Holzer im Jahr 1730 in die Werkstatt Johann Georg Bergmüllers ein, der mittlerweile zum katholischen Direktor der Reichsstädtischen Kunstakademie aufgestiegen war. Bergmüller erkannte rasch, dass Holzers große Begabung seine eigene überragte und machte seinen Gesellen zum gleichberechtigten „Compagnon“. Im Jahr 1736 löste sich Holzer aus dem Werkstattverbund mit Bergmüller. In seinen zehn Augsburger Schaffensjahren bis zu seinem frühen Tod 1740 war Holzer unermüdlich für Augsburger, seit 1736 zunehmend auch für auswärtige Auftraggeber tätig. Er schuf Altarbilder für Augsburger Kirchen, Porträts von Kaufleuten sowie Radierungen mit religiösen und allegorischen Themen. Von seinen zahlreichen Augsburger Fassadengemälden haben sich nur die Entwürfe beziehungsweise Entwurfskopien erhalten.
Joseph Haller hielt sich in den Jahren um 1760 in Augsburg auf. Dort könnte er bei dem in Wien im Umkreis des Tirolers Paul Troger ausgebildeten Franz Sigrist (1727-1803) seine Fertigkeit als Ölmaler perfektioniert und die Technik der Freskomalerei erlernt haben. Darüber hinaus betätigte sich Haller in Augsburg als Hinterglasmaler. Die auch im Kontext der Augsburger Hinterglasmalerei herausragende Qualität der zwei bekannten Hinterglasgemälde Hallers ist wohl dadurch zu erklären, dass ihr Schöpfer kein spezialisierter Hinterglasmaler war, sondern ein als Öl- und Freskomaler ausgebildeter Künstler, der sich zusätzlich die Technik der Hinterglasmalerei angeeignet hat. Die leuchtenden Farben und die transparenten Hintergründe der Ölbilder und Fresken, die Haller nach seiner um 1764 erfolgten Rückkehr in das Passeiertal schuf, erwecken den Anschein, als habe der Künstler Erfahrungen aus dem Bereich der Hinterglasmalerei auf die Öl- und Freskomalerei übertragen.
Zurück zur Liste