Johann Pichler
Unser Wissen vom Leben und Schaffen des Bildhauers Johann Pichler (1663?- ca. 1701) basiert im Wesentlichen auf zwei Schriften, die am Beginn der Tiroler Kunstgeschichtsschreibung stehen. Es handelt sich um das Manuskript von Anton von Roschmanns im Jahr 1742 gehaltener Rede über „berühmte“ Tiroler Maler und Bildhauer sowie um die ebenfalls Manuskript gebliebenen „Gesammelte[n] Notizen zu den Tiroler Künstlern“ des Freiherrn Joseph von Sperges (beide Innsbruck, Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum). Nach Roschmann und Sperges wurde Pichler in dem Dorf Moos im Hinterpasseier geboren. Der Kurat Michael Winnebacher soll auf das Talent des schnitzenden Hirtenjungen aufmerksam geworden sein und ihn zu einem wohl im Passeiertal ansässigen Bildhauer in die Lehre gegeben haben. Um seine Ausbildung zu vervollkommnen, sei Pichler daraufhin nach Rom gegangen. Dort habe er sich vor allem auch „in der Fechtkunst sehr geschickt gemacht“, weshalb er „il Gladiatore getauft worden“ beziehungsweise „öffentlich zum Fechter kreirt worden“ sei. Nach Roschmann und Sperges ist Pichler nach zwei Studienjahren in Venedig nach Wien übersiedelt. Dort soll er als Schöpfer von kleinen Figuren mit Elfenbein- und Holzanteilen hervorgetreten sein. Darüber hinaus soll er sich an der Herstellung der Marmorskulpturen der berühmten Pestsäule am Wiener Graben beteiligt und dabei namentlich den „Engel mit der Lanze“ gefertigt haben.
In der Folge sei Pichler „mit einigen Hundert Dukaten ersparten Geldes in der Tasche“ nach Tirol zurückgekehrt. Er habe sich in Meran niedergelassen und dort wiederum vor allem Kombinationsfiguren aus Elfenbein und Holz angefertigt. Als Auftraggeber Pichlers nennen Roschmann und Sperges adelige Kunstliebhaber wie den Grafen Fuchs von Jaufenburg und den im Schloss Knillenberg residierenden Freiherrn von Flugi zu Mays. Nachdem der als „geizig“, „mürrisch“ und zudem „ungestaltet“ geschilderte Bildhauer bereits längere Zeit nach einer reichen Frau Ausschau gehalten hatte, soll er „mit einer wohlhabenden Witwe von Lana, Namens Deprida“ eine unglückliche Ehe eingegangen sein. Ein Sohn des Ehepaars sei in den geistlichen Stand eingetreten. Gegen Ende seines Lebens sei Pichler - auf Aufforderung des mit ihm befreundeten Malers Ulrich Glantschnigg - nach Bozen übersiedelt. Nach Roschmann und Sperges hat er dort unter anderem zwei bis heute erhaltene Marmorskulpturen gefertigt: die Christusstatue in der Brunnenkapelle am Virgl sowie ein ehemals „über der Pforte des Hauses der Terzianerinnen“ eingemauertes, heute im Franziskanerkloster verwahrtes Relief mit einer Darstellung der Pietà.
Wie Johann Jakob Staffler in dem 1846 erschienenen zweiten Teil seiner Topographie von Tirol von Vorarlberg schreibt, wurde Johann Pichler „wahrscheinlich“ am 13. Mai 1663 geboren. Trifft dies zu, so ist die „Entdeckung“ des Bildhauers durch Michael Winnebacher wohl bereits während dessen Wirken als Hilfspriester in Moos ab 1680 erfolgt und nicht erst nach dessen Bestellung zum Kuraten im Jahr 1687. Die Angabe Roschmanns, Pichler sei um das Jahr 1700 in Bozen gestorben, findet ihre Bestätigung in einem Bozner Dokument vom 19. Dezember 1702, demzufolge die „Pichlerische wittib“ zu diesem Zeitpunkt dazu entschlossen war, dem Bildhauer Martin Vinazer das „handwerkszeug“ ihres verstorbenen Gatten zu überlassen. Zu den von Roschmann und Sperges überlieferten Aufenthalten des Bildhauers in Rom, Venedig und Wien liegen keine weiteren Belege vor. Die Marmorskulpturen der Wiener Pestsäule entstanden in zwei Phasen unter der Leitung der Bildhauer Matthias Rauchmiller (von 1681 bis 1686) und Paul Strudel (von 1687 bis 1694). Falls Johann Pichler tatsächlich, wie von Roschmann und Sperges behauptet, an der Herstellung der Skulpturen beteiligt war, dann wohl in untergeordneter Stellung als Geselle des in Cles am Nonsberg geborenen Strudel. Eine Tätigkeit Pichlers als Geselle Rauchmillers ist aus chronologischen Gründen wenig wahrscheinlich. Der von Roschmann und Sperges als Werk Pichlers angeführte „Engel mit der Lanze“ stammt nachweislich von dem Wiener Bildhauer Adam Kracker. Von den in verschiedenen Museen verwahrten Kombinationsfiguren aus Holz und Elfenbein, die Pichler zugeschrieben werden, ist keine als Arbeit des Mooser Bildhauers gesichert. Die Christusstatue in der Brunnenkapelle am Bozner Virgl scheint aus der Zusammenarbeit zwischen Pichler und dem aus dem holländischen Mechelen stammenden, um das Jahr 1699 in Bozen tätigen Bildhauer Joseph Anton Lipari hervorgegangen zu sein.
Von den im Passeiertal erhaltenen Barockskulpturen kommen die qualitätsvollen Darstellungen der Jesuitenheiligen Ignatius von Loyola und Franz Xaver am Altar der Skapulierbruderschaft in der Pfarrkirche von Moos als Werke Pichlers infrage.
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