Bereits 1724, rund fünf Jahre nach
Nikolaus Auers Niederlassung in
St. Martin in Passeier, nahm dieser mit dem 14-jährigen Johann Evangelist Holzer (1709–1740) aus
Burgeis im oberen Vinschgau seinen
bedeutendsten Schüler in seine Werkstatt auf. Der Sohn eines wohlhabenden Müllers hatte das Gymnasium des Benediktinerklosters Marienberg besucht und war von dem Abt Johann Baptist Murr an Auer vermittelt worden. Nach vierjähriger Lehrzeit zog Holzer zur
weiteren Ausbildung nach Süddeutschland: 1728 ging er zunächst nach
Straubing in Niederbayern zu dem Maler
Joseph Anton Merz, dem er bei der Freskierung der Kirche des Benediktinerklosters Oberalteich assistierte. 1729 oder 1730 zog Holzer – wohl auf Empfehlung Auers – weiter nach
Augsburg. Dort trat er im Frühjahr 1730 – wie zuvor Auer – in die Werkstatt des
Johann Georg Bergmüller, des nunmehrigen katholischen Direktors der Reichsstädtischen Kunstakademie, ein. Holzers starke Frömmigkeit veranlasste den jungen Maler, im September 1731 um die
Aufnahme in das heimatliche Kloster Marienberg anzusuchen. Dieses Anliegen wurde im August 1732 aufgrund zu hohen Personalstands und fehlender Geldmittel abgewiesen. Daraufhin kehrte Holzer, der sich zuvor eine Zeit lang in
Meran aufgehalten hatte, nach Augsburg zurück. Nachdem Bergmüller erkannt hatte, dass
Holzers große Begabung seine eigene überragte, machte er seinen Gesellen zum
gleichberechtigten „Compagnon“. Die von Bergmüller favorisierte Eheschließung Holzers mit seiner Tochter soll von seiner Gattin Barbara vereitelt worden sein. 1736 löste sich der junge Maler aus dem Werkstattverbund mit Bergmüller. In seinen zehn Augsburger Schaffensjahren bis zu seinem frühen Tod 1740 war Holzer, der als
klug, belesen und außergewöhnlich fleißig beschrieben wird, unermüdlich für
Augsburger, seit 1736 zunehmend auch für
auswärtige Auftraggeber tätig. Im September 1737 wurde er von dem
Eichstätter Fürstbischof Joseph Anton von Freiberg zum
Hofmaler ernannt. 1740 erhielt Holzer, der sich soeben mit der Tochter eines Weinwirts verlobt hatte, von dem
Wittelsbacher Clemens August, dem
Erzbischof und Kurfürsten von Köln, den Auftrag, die
Kapelle von Schloss Clemenswerth im Emsland – im äußersten Nordwesten Deutschlands – zu freskieren. Auf der Reise erkrankte der 30-jährige Maler an
Typhus, woran er wenige Tage nach seiner Ankunft verstarb.
Der bereits von Künstlern und Schriftstellern des 18. Jahrhunderts viel gelobte und aufgrund seines frühen Todes viel betrauerte Johann Evangelist Holzer gilt auch im Urteil der modernen Kunstgeschichte als einer der „ganz Großen“ unter den – zumal deutschen – Malern des Spätbarock. Insbesondere als Freskomaler geschätzt, schuf Holzer in seinen zehn Augsburger Schaffensjahren auch bedeutende Ölgemälde: Altar- und Andachtsbilder, allegorische „Kabinettstücke“ und Porträts. Darüber hinaus verfertigte er Radierungen mit religiösen und allegorischen Themen in Rembrandt’scher Helldunkelmanier sowie Entwürfe für Radierungen und Schabkunstblätter, die von spezialisierten Graphikern umgesetzt wurden. Anlässlich von Holzers 25. Todestag im Jahr 1765 publizierte der Augsburger Kupferstecher und Verleger Georg Christoph Kilian ein achtseitiges „Kunst- und Ehren-Gedächtnis HERRN JOHANN HOLZERS, weit berühmten und hoch schätzbaren Historien- und Fresco-Malers in Augsburg“. Kilians Kollege Johann Esaias Nilson brachte etwa zeitgleich unter dem Motto „Ars longa, Vita brevis“ („Kurz ist das Leben, ewig währt die Kunst“) eine Serie von Kupferstichen nach Werken Holzers auf den Markt. Der Augsburger Maler Matthäus Günther, der auch in Tirol zahlreiche Deckenfresken schuf, erwarb den künstlerischen Nachlass Holzers, was – nach Kilian –„vor ein Schatz zu halten ist“. Für den Tiroler Maler Martin Knoller war Holzer „ohne Zweifel der erste Freskomaler in Deutschland“. Johann Wolfgang von Goethe lobte die „Fröhlichkeit und Freyheit“ von Holzers zahlreichen Augsburger Fassadenfresken. Der Klassizist Johann Joachim Winckelmann, der den Barock an und für sich ablehnte, pries Holzers Fresko mit dem mythischen Bruderpaar Castor und Pollux am Haus des Verlegers und Kupferstechers Johann Andreas Pfeffel als eine von wenigen „guten neueren Allegorien“. Unter den zahlreichen, teils bedeutenden Malern, die Holzers Werke als Vorbilder heranzogen, findet sich auch Sebastian Haidt aus St. Martin in Passeier. Haidts um 1750 geschaffenes Gemälde des „Todes“ in der Wallfahrtskapelle Mariä Opferung auf der Mörre oberhalb von St. Martin ist im unteren, irdischen Register eng an ein im Jahr 1731 von Holzer radiertes Sterbebild mit der Hl. Barbara angelehnt.
Das
stilistische Vorbild von Johann Evangelist Holzers erstem Lehrer Nikolaus Auer ist nur in seinen wenigen noch vor seiner Migration von Südtirol nach Süddeutschland entstandenen Gemälden spürbar: Werke wie das auf 1727 datierte
Altarblatt mit dem Hl. Josef als Fürbitter der Bedrängten und Sterbenden, das im Jahr 1824 aus Burgeis für die
Kirche des Klosters Marienberg angekauft wurde, sowie das ein Jahr jüngere
Andachtsbild mit der Enthauptung des Hl. Johannes des Täufers (Meran, Palais Mamming Museum) bezeugen die große Begabung und die Ambitionen des etwa 18-jährigen Malers, aber auch seine noch unzureichende Ausbildung.
Von Holzers Fresken haben nur die
Deckenbilder der Wallfahrtskirche St. Anton in Garmisch-Partenkirchen von 1736 sowie – wenn auch in schlechtem Zustand – das Fresko des Festsaals der fürstbischöflichen Sommerresidenz in Eichstätt von 1737 den Zahn der Zeit überdauert. Das
Garmisch-Partenkirchener Kuppelfresko, auf dem der Hl. Antonius als Fürbitter von allen Arten von Bittstellern umlagert wird, ist
Holzers erhaltenes Hauptwerk. Von den Barock-Forschern unter den
modernen Kunsthistorikern haben ihm etwa Thomas DaCosta Kaufmann und Hermann Bauer
begeistertes Lob entgegengebracht: Kauffmann, der meinte, Holzers Kunst könne speziell im Hinblick auf ihre koloristische Meisterschaft „einem Vergleich mit (dem Venezianer Giambattista) Tiepolo durchaus standhalten“, sprach von einem
„leuchtenden Meisterwerk“, „wie es in der Geschichte der Kunst nur selten zu finden ist“. Nach Bauer besaß Holzer „mehr noch als (der Münchner Maler Cosmas Damian) Asam (...) die
Gabe der dramatischen Erzählung und des Charakterisierens, aber auch der volkstümlichen Schilderung“. Von Holzers rund ein Dutzend
Augsburger Fassadenfresken, die ausnahmslos den Witterungseinflüssen zum Opfer fielen, haben sich mehrere Entwürfe und zumeist kleinformatige Kopien erhalten. Dasselbe gilt für Holzers 1737/38 ausgeführte
Deckenbilder der Kirche der Benediktinerabtei Münsterschwarzach östlich von Würzburg, die nach der Säkularisierung des Klosters im frühen 19. Jahrhundert abgerissen wurde. 1737, wenige Jahre bevor Giambattista Tiepolo im Kaisersaal und im Treppenhaus der
Würzburger Residenz seine weltberühmten Fresken schuf, lieferte Holzer einen
Entwurf für die Decke der dortigen Südgalerie, der jedoch nicht zur Ausführung kam.
Unter Holzers zahlreichen, durch ihre
Dramatik und
gekonnte Lichtregie sowie durch
unkonventionelle inhaltliche Lösungen ausgezeichneten
Altarblättern sticht – allein schon aufgrund seiner gewaltigen Höhe von acht Metern – das
Hochaltarbild der Eichstätter Jesuitenkirche von 1738/39 hervor, das eine Vision des Propheten Daniel zum Thema hat.