Marianische Gnadenbildkopien
In der Zeit des Barock kam es in den katholischen Ländern zu einer neuen Blüte des Wallfahrtswesens, wobei neben Reliquien insbesondere gemalte und geschnitzte Gnadenbilder der Maria mit oder ohne Jesuskind als Anziehungspunkte dienten. Wegen häufiger Erhörung der vor diesen Gnadenbildern verrichteten Gebete wurde ihnen eine besondere Verehrung entgegengebracht, wobei diese Verehrung strenggenommen nicht dem Bild, sondern der bzw. den Dargestellten zu gelten hatte und der göttliche Gnadenerweis nicht etwa durch das Bild, sondern durch die Fürbitte Marias zustande kam.
Zu den bereits vorhandenen Mariengnadenbildern traten in der Zeit des Barock zahlreiche neue Kulte. Die Gnadenbilder wurden duch Kopien verbreitet, die ihrerseits verehrt wurden und zum Ziel von Wallfahrten werden konnten. Die Kopien des ehemals in der Klosterkirche und heute in der Pfarrkirche von Wessobrunn in Oberbayern verwahrten Gnadenbildes der Maria als „Mutter der Schönen Liebe“ wurden durch Berührung mit dem Original gesegnet. Im Fokus des Maria-Hilf-Kults stand zunächst nicht das originale Maria-Hilf-Bild von Lucas Cranach dem Älteren, das sich seit 1619 in Innsbruck befindet, sondern eine in einer Wallfahrtskirche auf dem Schulerberg bei Passau verwahrte Kopie.
In der Passeirer Barockkunst – und insbesondere im Schaffen der Vertreter der „Passeirer Malerschule“ – finden sich Kopien von sechs marianischen Gnadenbildern teils in mehreren Exemplaren. Sie beziehen sich auf vier international und auf zwei lokal verehrte Gnadenbilder. Auch im Passeiertal selbst entstand eine Wallfahrt zu einem Marienbild, bei dem es sich seinerseits um eine Gemäldekopie handelt.
Besonders häufig trifft man im Passeiertal auf Kopien des Wessobrunner Gnadenbildes der Maria als „Mutter der Schönen Liebe“. Dabei handelt es sich um ein Brustbild der jugendlichen Maria noch ohne Jesuskind mit nach links geneigtem Haupt und gesenktem Blick. Die Jungfrau ist mit einem weißen Seidengewand mit edelsteinbesetzter Borte und mit einem blauen Mantel bekleidet und trägt einen Blütenkranz aus rosafarbenen Rosen und weißen Lilien auf ihrem Haupt. Das Original wurde um 1700 im Benediktinerkloster Prüfening bei Regensburg von dem Ordensbruder Innozenz (Franz) Metz gemalt und gelangte über den Benediktinerpater Plazidus Angermayr in das Kloster Wessobrunn. Nachdem es um 1706 auf dem Hochaltar der Wessobrunner Klosterkirche angebracht worden war, wurde es zum Bezugspunkt einer von Angermayr 1710 errichteten Bruderschaft zur Verehrung der Unbefleckten Empfängnis Marias und zum beliebten Wallfahrtsziel. Die Bezeichnung Marias als „Mutter der Schönen Liebe“ geht auf eine im alttestamentlichen Buch Jesus Sirach (Ecclestiasticus, 24,18) überlieferte Selbstbezeichnung der göttlichen Weisheit zurück, die von den Exegeten auf den Heiligen Geist und auf Maria als „Braut des Heiligen Geistes“ bezogen wurde. Die Verehrung Marias als „Mutter der Schönen Liebe“ war insbesondere mit dem Fest der Unbefleckten Empfängnis Marias am 8. Dezember verbunden. Im Passeiertal wurde das Wessobrunner Gnadenbild durch den Mooser Kuraten Michael Winnebacher bekannt gemacht, der im Jahr 1717 – anlässlich der Errichtung der am rechten Seitenaltar der Mooser Pfarrkirche angesiedelten Bruderschaft von der Unbefleckten Empfängnis Marias – wohl von dem Meraner Maler Sebastian Perger eine Kopie davon anfertigen ließ. In St. Martin in Passeier ist Maria auf gleich drei Fassadenfresken als „Mutter der Schönen Liebe“ dargestellt: auf dem Erker des Turmhauses (Joseph Haller, um 1760/70), über der Tür des Aussermoarhofs (unbekannter Maler, Ende des 18. Jahrhunderts) und – als Halbfigur mit nach rechts geneigtem Haupt – an der Westfassade des „Hohen Hauses“ (Mitarbeiter Joseph Hallers?, Ende des 18. Jahrhunderts). Johann Benedikt Auer bezog sich bei der Fertigung eines Kupferstichs mit Maria als Pfarr- und Stadtpatronin von Bozen (um 1751/53 oder später) auf das Wessobrunner Gnadenbild. Auch auf dem wohl von Benedikt Anton Auer für die Pfarrkirche von St. Martin gemalten Votivbild eines aus dem Rußlandfeldzug Napoleons von 1813 heimgekehrten Soldaten (St. Leonhard in Passeier, MuseumPasseier) ist Maria als „Mutter der Schönen Liebe“ wiedergegeben.
Zu den in Tirol und im übrigen Alpenraum meistverehrten Mariengnadenbildern zählt das Gnadenbild „Mariahilf“, eine Variante der byzantinischen Marienikonen im Typus der „Elëusa“ bzw. „Wladimirskaja“: Die als Halbfigur dargestellte Maria trägt ein blaues Gewand und einen roten Mantel und blickt zum Betrachter. Mit beiden Händen umfasst sie das Jesuskind, das bei ihr Hilfe sucht, dabei sein Gesicht eng an das ihre schmiegt und mit seiner Rechten an ihren Hals greift. Das originale Maria-Hilf-Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren von 1537 gelangte in die Kunstkammer des Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen, der es im Jahr 1611 dem Passauer Bischof Leopold als Gastgeschenk überließ. Als Statthalter von Tirol nahm Leopold das Bild im Jahr 1619 mit nach Innsbruck, wo es 1650 in der Pfarrkirche St. Jakob (dem heutigen Dom) öffentlich ausgestellt wurde. Für die von dem Passauer Domdekan Marquard von Schwendi in Auftrag gegebene Kopie von Cranachs Gemälde wurde bereits um 1624/27 die Wallfahrtskirche auf dem Schulerberg bei Passau errichtet. Die weiträumige Verehrung des Passauer Maria-Hilf-Bildes erlebte ihren ersten Höhepunkt nach dem der Hilfe Marias zugeschriebenen Sieg gegen die Türken bei Wien im Jahr 1683. Kaiser Leopold I. hielt sich während der Zweiten Wiener Türkenbelagerung des Jahres 1683 in Passau auf und wallfahrtete jeden Tag zur Maria-Hilf-Kirche. „Maria Hilf“ wurde zum Schlachtruf im Kampf gegen die Türken und war auch die Tageslosung der Entscheidungsschlacht am 12. September 1683. Auf dem ehemaligen Hochaltarbild der Pfarrkirche von Platt in Passeier von ca. 1722 hat Nikolaus Auer das Maria-Hilf-Gemälde als von Engelsputten emporgehobenes „Bild im Bild“ wiedergegeben, das von den beiden Kirchenpatronen Ursula und Sebastian verehrt wird.
Auch das Gnadenbild der Maria als „Mutter vom Guten Rat“ gehört zur Gruppe der Elëusa-Madonnen, deren wesentliche Merkmale es in konzentrierter Form präsentiert: Der Bildausschnitt ist derart eng gewählt, dass von Maria, die ihr Kind auf dem linken Arm trägt, nur die Büste und das Haupt zu sehen sind. Das Jesuskind schmiegt sein Gesicht eng an dasjenige seiner Mutter und greift mit seiner linken Hand an deren Kleiderausschnitt. Von der rechten Hand des Kindes, die es um Marias Hals gelegt hat, sind nur die Fingerspitzen sichtbar. Bei dem Original handelt es sich um ein Fresko, das als „Madonna del Buon Consiglio“ in der Kirche der Augustiner-Eremiten in Genazzano im Latium verehrt wird. Der Legende nach wurde das Fresko, bei dem es sich wohl um eine umbrische Arbeit des 14. Jahrhunderts handelt, von Engeln zunächst aus dem Orient in die albanische Stadt Skutari und im Jahr 1467 von dort nach Genazzano gebracht. Nachdem auf dem Ordenskapitel von 1753 beschlossen worden war, das Gnadenbild allgemein bekannt zu machen, unternahm der römische Augustiner-Eremit Andrea Bacchi zu diesem Zweck zahlreiche Reisen, die ihn unter anderem bis nach Deutschland führten. Die von Joseph Haller im Jahr 1770 gemalte Gnadenbild-Kopie am rechten Seitenaltar (Marienaltar) der Pfarrkirche von St. Martin in Passeier trägt die zweisprachige Bezeichnung „S. MARIA, MATTER DEI D[EL] BONO CONSILIO / Die H[eilige] Muttergottes von gutem Rath“ sowie den Appell an den frommen Betrachter: „Willst guettem Rath, Mariam bitt - Thust was sie sagt, so fehlest nit.“
Die zwei bedeutendsten Marienwallfahrtsorte in der näheren Umgebung des Passeiertals sind die Dörfer Riffian – am Eingang des Tales – sowie Maria Trens bei Sterzing. Im Fokus der beiden Wallfahrten steht jeweils eine Skulptur: in Riffian eine Pietà von ca. 1415, also aus der Zeit des „Internationalen Stils“ der Gotik, in Maria Trens hingegen eine stehende Maria mit dem Jesuskind von ca. 1470. Von der Pietà in Riffian haben sich zwei gemalte und eine druckgraphische Kopie von Vertretern der „Passeirer Malerschule“ erhalten, die jeweils nicht nur die Haltung der sitzenden Maria und des waagrecht liegenden toten Jesus, sondern auch die Faltenkaskaden von Marias Mantel originalgetreu wiedergeben. Die bekleidete und gekrönte Madonnenskulptur auf einem Gemälde von Benedikt Anton Auer von 1809 im Besitz der Pfarrkirche von Moos in Passeier ist durch die Inschrift als "Wunderthätig(es) Gnadenbild U(nserer) L(ieben) Frau zu Trenß“ ausgewiesen. Ob auch mit dem Gnadenbild auf einem 1752 wohl von Nikolaus Auer geschaffenen Gemälde im Diözesanmuseum Hofburg Brixen dasjenige von Maria Trens gemeint ist, ist unklar. Bei drei der erwähnten Bilder handelt es sich um Votivbilder, wie sie in der Zeit des Barock - häufig im Zusammenhang mit Wallfahrten - zum Dank für die erfolgte Rettung aus einer Notlage gestiftet wurden. Nikolaus Auers Gemälde von ca. 1724, das den Maler selbst in Verehrung des Riffianer Gnadenbildes zeigt (Meran, Palais Mamming Museum), entstand laut Inschrift im Anschluss an eine Wallfahrt nach Riffian, wo Auer von „sehr grossen Schmerzen“ in einem Arm geheilt worden war. Benedikt Auers Gemälde von 1809, an deren unterem Rand sich von links eine männliche und von rechts eine weibliche Pilgergruppe der Wallfahrtskirche Maria Trens nähern, erinnert wohl an eine Wallfahrt von Moos über den Jaufenpass nach Maria Trens. Bei dem 1752 wohl von Nikolaus Auer gemalten Votivbild handelt es sich nach Ausweis der Inschrift um eine Stiftung von 72 Knappen des Bergwerks auf dem Schneeberg im hinteren Passeiertal, von denen 17 am 27. Januar dieses Jahres ein Lawinenunglück unversehrt überstanden hatten. Ein Kupferstich mit dem Riffianer Gnadenbild, den Johann Benedikt Auer um 1751/53 in Bozen fertigte, war wohl als Wallfahrts-Andenken gedacht. Ein Gemälde Joseph Hallers von ca. 1760/70 mit der Pietà von Riffian und den Heiligen Antonius von Padua und Bernhardin von Siena (?) im Palais Mamming Museum in Meran könnte als Votivbild ebenso wie als Wallfahrts-Souvenir gedient haben.
Ein 1795 wohl von Benedikt Anton Auer gemaltes, ebenfalls im Meraner Museum verwahrtes Votivbild, auf dem das Gnadenbild von Maria Einsiedeln von Christus und drei Heiligen flankiert wird, erinnert wohl an eine Wallfahrt der drei dargestellten (Passeirer?) Votanten an diesen ältesten und bedeutendsten Schweizer Wallfahrtsort. Bei dem in der Klosterkirche Maria Einsiedeln verehrten Gnadenbild handelt es sich um eine bekleidete und gekrönte Skulptur der stehenden Maria mit dem Jesuskind aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, deren schwarze Farbe auf den Rauch von Kerzen zurückzuführen ist.
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde schließlich auch im Passeiertal eine Wallfahrt zu einem Marienbild etabliert: Der Legende nach hat ein Wanderhändler dem „Bauerndoktor“ Matthias Pichler, dem Bauern des Mörrehofs oberhalb von St. Martin in Passeier, im Jahr 1739 ein Marienbild verkauft und ihm darüber hinaus eine Skulptur des „Christus im Elend“ zum Verkauf angeboten. Pichler errichtete im Jahr 1750 die Kapelle Mariä Opferung auf der Mörre, die 1752 sowie 1762 oder 1764 erweitert und 1848 durch einen Neubau ersetzt wurde. Der in den Neubau übernommene Hochaltar, der im Jahr 1764 wohl von Anton Ferner und seiner Werkstatt errichtet worden war, präsentiert im Zentrum das von einem Strahlenkranz umgebene Marienbild über einer Skulptur des „Christus im Elend“. Bei dem halbfigurigen Gemälde der betenden Maria handelt es sich um eine Kopie nach einem Bild des italienischen Barockmalers Giovanni Battista Salvi, genannt „Il Sassoferrato“. Die Skulptur des „Christus im Elend“ wird Anton Ferner zugeschrieben. Ein auf 1785 datiertes, vielleicht aber schon früher (1765?) entstandenes Gemälde eines unbekannten Malers in der Kapelle auf der Mörre illustriert die Entstehungslegende der Wallfahrt.
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