Himmel, Hölle, Fegefeuer
Wie schon im Spätmittelalter war die Sorge um das Seelenheil im Jenseits auch im katholischen Barock für die Frömmigkeitspraxis der Menschen von zentraler Bedeutung. Messfeiern und Gebete zugunsten der Armen Seelen im Fegefeuer waren das Hauptbetätigungsfeld der religiösen Bruderschaften, die nach der Krise der Reformationszeit eine neue Blüte erlebten. Manche Bruderschaften wandten sich in besonderer Weise den Sterbenden zu. Im Passeiertal kümmerte sich etwa die im Jahr 1807 aus der aufgelassenen Kraxentrager-Bruderschaft hervorgegangene Messengesellschaft von St. Martin um die Armen Seelen im Fegefeuer. Am Altar des als Sterbepatron verehrten Hl. Benedikt in der alten Pfarrkirche von Platt hatte eine dem „glückseligen Sterben“ gewidmete Bruderschaft ihren Sitz. Wie schon im Spätmittelalter stand auch im katholischen Barock ein Gutteil der kirchlichen Kunstproduktion mit der Seelenheilvorsorge in Zusammenhang. Dabei traten gerade auch die Bruderschaften als Stifter von Kunstwerken in Erscheinung. Auf etlichen dieser Kunstwerke wurden der Tod und die christlichen Jenseitsvorstellungen selbst zum Thema gemacht.
Im Passeiertal bewahrt die Kapelle Mariä Opferung auf der Mörre oberhalb von St. Martin einen dreiteiligen Bildzyklus zu den „Letzten Dingen“, den Sebastian Haidt im Jahr 1750 gemalt hat. Eines der Bilder zeigt eine Sterbende, die von einem Priester auf einen Kruzifixus und damit auf Christus hingewiesen wird. Am Fuße des Bettes sind der Tod mit dem bedrohlich erhobenen Sterbepfeil und der Teufel mit dem Sündenregister dargestellt. Auf einem weiteren, in Format und Maßen übereinstimmenden Gemälde gießt ein Engel aus einem Messkelch das Blut Christi in das Fegefeuer, um die Qualen der drei dort schmorenden Armen Seelen zu lindern. Diese Darstellung nimmt wohl auf die einst hochverehrte Heilig-Blut-Reliquie in der Pfarrkirche von St. Martin Bezug. Das dritte, größere Bild (eines ehemaliges Altarblatt?) mit dem Jüngsten Gericht ist in drei Register gegliedert: Unterhalb des von den Fürbittern Maria und Johannes dem Täufer flankierten Weltenrichters rufen zwei Engel mit Trompeten zum Gericht. Zu ihren Seiten sind sieben Apostel sowie acht Patriarchen und Propheten als Beisitzer wiedergegeben. In der unteren Hälfte des Gemäldes werden die aus ihren Gräbern auferstehenden Toten von Engeln in den Himmel geleitet bzw. von Teufeln in den Höllenrachen getrieben.
Bei Haidts Darstellung der Sterbestunde handelt es sich um eine getreue Kopie nach einem Sterbebild mit der als Sterbepatronin verehrten Hl. Barbara, das Johann Evangelist Holzer im Jahr 1731 in Augsburg angefertigt hat. Holzers Radierung wiederum weist eine Reihe motivischer Parallelen zu einem Sterbebild mit dem Hl. Benedikt auf, das der Augsburger Kupferstecher Johann Melchior Gutwein im Jahr 1719 auf der Grundlage einer Zeichnung von Holzers erstem Lehrer Nikolaus Auer realisiert hat. Von Auer stammt auch das auf 1722 datierte Blatt des Benedikt-Altars in der alten Pfarrkirche von Platt, an dem die dem „glückseligen Sterben“ gewidmete Bruderschaft ihren Sitz hatte. Es zeigt den Tod des Hl. Benedikt während des Gebets in einer Kirche im Kreis seiner „Jünger“ sowie die Vision von der Himmelfahrt des Ordensgründers, die zwei Mitbrüder an dessen Todestag hatten. Die von Papst Gregor dem Großen überlieferten Umstände von Benedikts eigenem Tod machten ihn zu einem idealen Fürsprecher für die Sterbestunde. Heute befindet sich Auers Gemälde am linken Seitenaltar der nach der Brandzerstörung von 1863 neu errichteten Pfarrkirche von Platt. Auch die Darstellung des Hl. Francisco de Xavier (Franz Xaver) auf einem ebenfalls im Jahr 1722 von Nikolaus Auer gemalten Votivbild in der Pfarrkirche von Moos in Passeier, das der Kurat Michael Winnebacher zum Dank für die Heilung von einer wohl schwerwiegenden Erkrankung gestiftet hat, mag mit der Verehrung des Jesuitenmissionars als Sterbepatron zusammenhängen.
Aufgrund der etwa von Josef Haller in einem Kabinettbild von ca. 1760/70 (Diözesanmuseum Hofburg Brixen) geschilderten Legende, wonach der Hl. Josef in Anwesenheit der Gottesmutter und seines göttlichen Ziehsohns starb, wurde auch der Nährvater Jesu als Fürsprecher für die Sterbestunde verehrt. So hat Haller in dem zentralen Kuppelfresko in der Josefspfarrkirche von Ridnaun von 1765/66 inmitten einer Reihe von Bittstellern, die sich an den auf einer Wolke schwebenden Kirchenpatron wenden, einen Priester wiedergegeben, der dem Heiligen einen Sterbenden empfiehlt. Dem Hl. Josef als Fürbitter der Bedrängten und Sterbenden hatte bereits der 18-jährige Johann Evangelist Holzer sein frühestes, auf 1727 datiertes Altarblatt gewidmet, das im Jahr 1824 aus Burgeis für das Benediktinerstift Marienberg angekauft wurde.
Von der Wichtigkeit eines „guten“, nach Empfang der Stebersakramente eingetretenen Todes kündet schließlich auch ein im Jahr 1768 von Haller gemaltes Votivbild aus der Wallfahrtskapelle auf der Mörre: Ein Priester erteilt der auf dem Sterbebett liegenden Dorothea Locher aus Schenna die Absolution oder den Segen. Lochers Tochter zeigt auf den auf einer Wolke schwebenden Christus, der nach dem Vorbild des in der Wallfahrtskapelle auf der Mörre verwahrten geschnitzten Gnadenbilds als „Christus im Elend“ dargestellt ist. Wie aus der Inschrift hervorgeht, hat Lochers Tochter sich „in der Merr alhero Zum unßern Seeligmacher in der Elendt (...) mit ainer Votiv Taffl verlobet“, nachdem ihre todkranke Mutter „von den Schlagfluß getroffen“ und „aller Sinnen beraubet“ worden war. Daraufhin habe Dorothea Locher sogleich wieder ihren „gesundten verstandt“ erlangt, sodass sie beichten und mit den Sterbesakramenten versehen werden und damit einen „guten Tod“ sterben konnte.
Die positive Wirkung des Blutes Christi und der einst hochverehrten Heilig-Blut-Reliquie in der Pfarrkirche von St. Martin auf das Schicksal der Armen Seelen im Fegefeuer wird nicht nur auf Haidts Gemälde in der Wallfahrtskapelle auf der Mörre, sondern auch auf einem anonymen Tafelbild aus dem 18. Jahrhundert und auf einem 1823 von Benedikt Anton Auer gemalten Fahnenblatt im Besitz der Pfarrkirche von St. Martin thematisiert. Auf dem Tafelbild gießen mehrere Engel das teils direkt aus der Seitenwunde und aus den Wundmalen Christi sowie teils aus einem Messkelch entspringende Blut in das Fegefeuer. Maria und zwei weitere Engel sind im Begriff, drei Arme Seelen, deren Läuterung abgeschlossen ist, aus dem Fegefeuer zu befreien. Die Armen Seelen sind durch Kleidung und Attribute als weltliche und geistliche Amtsträger sowie als Angehörige verschiedener Handwerke gekennzeichnet. In der oberen Häfte des von der Messengesellschaft von St. Martin in Auftrag gegebenen Fahnenblatts hat Benedikt Anton Auer die Monstranz mit der Heilig-Blut-Reliquie dargestellt, in der unteren Hälfte eine Messfeier vor der in einen Altartabernakel eingesetzten Heilig-Blut-Monstranz und drei Arme Seelen im Fegefeuer. Die Strahlen, welche die Monstranz mit den Armen Seelen verbinden, verweisen auf die erlösende Kraft des Heiligen Blutes. Auf einem von zwei Engelsputten präsentierten Schriftbanner ist zu lesen: „Die Messengesellschaft giebt allen Kraft: die von Passeir schwitzen im Feuer.“ Das Fegefeuer ist schließlich auch auf einem Tafelbild aus dem Bildstock beim Schattenhof in St. Leonhard in Passeier dargestellt, auf dem die Passeirer Pfarr- und Ortspatrone Leonhard und Martin als Fürsprecher der Armen Seelen vor der Heiligen Familie eintreten. Ob es sich bei der Namensangabe „Hans Pfitscher“ auf dem auf 1786 datierten Gemälde um eine Malersignatur handelt, ist ungewiss.
Haidts Bild mit dem Jüngsten Gericht in der Wallfahrtskapelle auf der Mörre von 1750 weist eine Reihe motivischer Parallelen mit einem Gemälde desselben Themas auf, das sein Lehrer Nikolaus Auer acht Jahre zuvor im Auftrag des Michael Winnebacher für die Pfarrkirche von Moos geschaffen hatte. Auers Bild war im Todesjahr des Mooser Kuraten entstanden und dürfte als Verweis auf dessen Grabmal gedient haben. Einen Bezug zur Weltgerichtsthematik enthält auch ein allegorisches Gemälde von Josef Haller von ca. 1760/65 im Palais Mamming Museum in Meran: Ein Engel bringt Maria und dem Jesuskind brennende Herzen dar – Zeichen für die Liebe der Menschen zu den himmlischen Gestalten. Maria revanchiert sich, indem sie ein Kind, wohl stellvertretend für die sündige Menschheit, vor dem Sturz in den Höllenrachen bewahrt. Von Benedikt Anton Auer schließlich hat sich eine Tafel aus dem Jahr 1816 erhalten, auf welcher der „Weg zum Himmel“ in didaktischer Absicht mit dem „Weg zur Hölle“ konfrontiert wird: Während die zeitgenössisch gekleideten Bauern und Bürger auf der linken Seite des Bildes den steinigen, dornigen Weg der Christusnachfolge eingeschlagen haben, geben sich die Bauern auf der rechten Seite allerlei „teuflischen“ Vergnügungen wie Sauferei, Tanz und Kartenspiel hin. Die Tafel gelangte aus dem Heilig-Kreuz-Kirchlein unter der Jaufenburg bei St. Leonhard in das MuseumPasseier.
Zurück zur Liste