Barocke Josefsverehrung
Unter den von den Vertretern der „Passeirer Malerschule“ dargestellten Heiligen nimmt der Heilige Josef eine herausragende Stellung ein. Der Bräutigam Marias und Nährvater Jesu stieg erst in der Frühen Neuzeit von einer kaum beachteten Randfigur zu einer der zentralen Gestalten des christlichen Heiligenhimmels auf. Als wesentliche Förderer der Josefsverehrung traten die habsburgischen Kaiser auf, die den Heiligen innerhalb weniger Jahre zum Schutzpatron Böhmens (1655), der österreichischen Erblande (1675) und der katholischen Länder des Heiligen Römischen Reiches (1676) wählten. Auch in Tirol lässt sich ab der Mitte des 17. Jahrhunderts eine Zunahme der Josefskults feststellen: Dem Heiligen wurden vermehrt Kirchen und Altäre geweiht, an verschiedenen Orten – so auch in St. Martin in Passeier im Jahr 1685 – wurden Jesus-, Maria- und Josef-Bruderschaften zur Verehrung der Heiligen Familie gegründet. Auch als Namenspatron erfreute sich Josef zunehmender Beliebtheit. 1771/72 schließlich wurde der Heilige Georg in seiner Rolle als Tiroler Landespatron endgültig vom Heiligen Josef abgelöst.
In der Passeirer Barockkunst begegnet Josef nicht nur in szenischen Darstellungen aus der Kindheit Jesu, sondern auch – wie in vorbarocker Zeit nur Maria – als Einzelfigur mit seinem göttlichen Ziehsohn auf dem Schoß oder auf dem Arm. Eine Darstellungsform der Heiligen Familie, die sich im Barock gerade auch im katholischen Tirol einer besonderen Beliebtheit erfreute, ist der „Heilige Wandel“ – die Wiedergabe der Heiligen Familie auf der Wanderschaft mit dem bereits gehfähigen Jesusknaben. Die älteste von mehreren Darstellungen des „Heiligen Wandels“, die sich in St. Martin in Passeier erhalten haben, ist eine im Besitz der Pfarrkirche befindliche Skulpturengruppe des Meraner Bildschnitzers Mathias Leiter vom Ende des 17. Jahrhunderts. Benedikt Anton Auer hat den „Heiligen Wandel“ nicht nur auf einem ebenfalls in Pfarrbesitz befindlichem Fahnenblatt von 1823 wiedergegeben, sondern auch auf einem wohl etwa zeitgleich entstandenen Fresko an der Ostfassade des Steckholzgütls bzw. Speckholzerhauses. Einzeldarstellungen des Heiligen Josef mit dem Jesuskind stammen unter anderem von Nikolaus Auer (St. Leonhard in Passeier, Pfarrkirche, ehemaliges Seitenaltarblatt, um 1730/40) und von Joseph Haller (Hinterglasgemälde, um 1760; München, Sammlung W. u. G. Steiner).
Gleich mehrere Vertreter der „Passeirer Malerschule“ hatten entscheidenden Anteil an der bildlichen Ausstattung der 1764/65 errichteten Josefspfarrkirche in Ridnaun. Bei dieser Kirche handelt es sich nicht nur um ein Beispiel für die besondere Verehrung des Heiligen Josef in Bergwerksgebieten, sondern zugleich um das wohl bedeutendste künstlerische Zeugnis des barocken Josefskults in Südtirol. Das Hochaltarblatt des Innsbrucker Malers Josef Liebherr zeigt die Heilige Familie zusammen mit der glühenden Josefsverehrerin Theresia von Avila (1515–1582), der Nebenpatronin der Kirche. Das linke Seitenaltarblatt mit dem Martyrium des Heiligen Laurentius malte der bei Nikolaus Auer in St. Martin in Passeier ausgebildete Anton Siess aus Obertelfes bei Sterzing, die Skulpturen der drei Altäre stammen von dem Ferner-Schüler Johann Perger. Die drei großen Deckenfresken sind ein Hauptwerk des Joseph Haller, der auch das rechte Seitenaltarblatt mit dem Heiligen Aloysius von Gonzaga schuf. Das zentrale Kuppelfresko zeigt den Heiligen Josef als Fürsprecher der Menschheit: Der Heilige schwebt auf einer Wolke mit dem Jesuskind auf seinem Schloß. Mehrere Bittsteller strecken ihm Schriftrollen entgegen, auf denen die erbetenen geistigen und leiblichen Güter notiert sind. Die zentral angeordnete Szene, in der ein Priester dem Heiligen Josef einen Sterbenden empfiehlt, verweist auf die Rolle des Heiligen als Fürsprecher für einen guten Tod. Dass Christus die an ihn vermittelten Bitten erhört, wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er mit einer Feder auf eine Schriftrolle das Wort „fiat“ – „Es geschehe“ – schreibt. Dabei führt Josef die Hand seines Ziehsohns. Die vier Zwickelmedaillons mit Szenen aus dem Leben des Heiligen Josef und die zwei Heiligenbilder an den seitlichen Tonnengewölben – darunter wiederum eine Darstellung der Heiligen Theresia von Avila – stammen wohl von einem Mitarbeiter Hallers. An den Wänden der Querarme hat der Wiener Maler Franz Altmutter wohl kurz nach 1800 die Geburt Jesu und die Anbetung der Könige wiedergegeben.
Dem Heiligen Josef als Fürbitter der Bedrängten und Sterbenden hatte bereits der 18-jährige Johann Evangelist Holzer sein frühestes, auf 1727 datiertes Altarblatt gewidmet. Das Gemälde, das im Jahr 1824 aus Burgeis für das Benediktinerstift Marienberg angekauft wurde, ist in der weichen, atmosphärischen Malweise noch ganz dem Vorbild von Holzers erstem Lehrer Nikolaus Auer verpflichtet. Josef Hallers Kuppelfresko in der Pfarrkirche von Ridnaun dürfte seinerseits als Vorbild für zwei in St. Martin in Passeier erhaltene Fassadenmalereien mit dem Heiligen Josef als Fürsprecher der Menschheit aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert gedient haben. Als Schöpfer dieser beiden Fresken, welche die Nordfassade des „Hohen Hauses“, des ehemaligen Spitals und Armenversorgungshauses, sowie die Westfassade des Hochwies- oder „Josefsberghofs“ schmücken, kommt der in Ridnaun tätige Mitarbeiter Hallers in Frage.
Von Haller selbst sind im Diözesanmuseum Hofburg Brixen zwei reizvolle, als Pendants zusammengehörige Kabinettbilder mit der Heiligen Familie in der Werkstatt des Zimmermanns Josef und mit dem Tod des Heiligen in Anwesenheit der Gottesmutter und von dessen göttlichem Ziehsohn von ca. 1760/70 ausgestellt.
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